Dienstag, 7. Juni 2016

Welche Nahrung Medikamente unwirksam macht

Grapefruitsaft kann die Wirkung von Blutdrucksenkern stark erhöhen. Milch und Antibiotika vertragen sich nicht. Und sogar Mineralwasser kann die Wirksamkeit mancher Arzneien im Körper verändern.

Von Shari Langemak
Für viele gehört die Grapefruit zu einem gesunden Frühstück einfach mit dazu. Gerade im Winter, wenn das Angebot an Beeren und Kernobst nachlässt, ist sie eine willkommene Vitaminbombe. Doch die bittere Zitrusfrucht trägt ein ebenso bitteres Geheimnis: Sie hemmt eine ganze Reihe von wichtigen Stoffwechsel- und Verwertungsprozessen.
Bemerkbar macht sich das vor allem bei der Einnahme bestimmter Medikamente. Wenn ihr Abbau gehemmt ist, können sie zu schweren Nebenwirkungen führen.

Herzmedikamente im Fokus

Zurzeit gibt es 43 Wirkstoffe, bei denen der übermäßige Genuss von Grapefruit-Produkten gefährlich werden kann. Bald könnten es aber noch deutlich mehr werden, zumindest wenn sich der Trend der letzten Jahre fortsetzt. Die Einführung neuer Rezepturen und Wirksubstanzen hätte dazu geführt, dass jedes Jahr sechs neue Medikamente mit einer bekannten Wechselwirkung zur Grapefruit hinzugekommen seien, schreibt der Kanadier David Bailey von der University of Western Ontario im Fachmagazin "Canadan Medical Association Journal".
In seiner aktuellen Übersichtsarbeit warnt der Pharmakologe vor dem unachtsamen Genuss der Zitrusfrucht.
Ernährung

Irritierende Testergebnisse

Bailey weiß, wovon er spricht. Er selbst war es, der den Effekt der Grapefruit vor über 20 Jahren entdeckt hat. Damals wollte der Pharmakologe eigentlich eine ganz andere Wechselwirkung testen. Er wollte prüfen, wie gut sich Alkohol mit einem bestimmten Bluthochdruckmittel verträgt. Um festzustellen, welche Nebenwirkungen allein auf den Alkoholkonsum zurückzuführen waren, brauchte Bailey zwei Studiengruppen: Eine, die tatsächlich Alkohol und Medikamente bekommt und eine andere, die das Blutdruckmittel ohne Zusätze einnimmt.
Wer aber zu welcher Gruppe gehört, das durften weder Wissenschaftler noch Probanden wissen. Sonst hätte das Ergebnis schließlich verfälscht werden können. Dabei gab es jedoch ein Problem: Alkohol hat einen strengen, brennenden Geschmack.
Hätte er den Studienteilnehmern Pille und Schnaps allein gegeben, hätte sofort jeder gewusst, zu welcher Probandengruppe er gehört.

Bittere Grapefruit gegen bitteren Alkohol

Der Pharmakologe musste also ein Mischung finden, in der der Geschmack des Alkohols vollkommen überlagert wird. Nach einigen gescheiterten Geschmacksproben fand er schließlich ein geeignetes Getränk: zweifach konzentrierten Grapefruit-Saft. Tatsächlich konnte kein Studienteilnehmer schmecken, ob dieser nun mit Alkohol gemischt war oder eben nicht. Die Studie schien zu funktionieren.
Doch schon früh stellte Bailey etwas völlig Unerwartetes fest: Die Blutkonzentration des Medikaments war bei den Teilnehmern auf das Dreifache erhöht, und zwar sowohl in der Test- als auch in der Kontrollgruppe. Schnell wurde klar, dass nur der Grapefruitsaft daran schuld sein konnte.

Enzyme machen Pharmakologen das Leben schwer

Mittlerweile weiß man, wieso die Zitrusfrucht den Medikamentenspiegel so massiv beeinflussen kann. Die Inhaltsstoffe der Grapefruit hemmen das sogenannte Cytochrom-3A4-Enzym, kurz CYP3A4 genannt. Das Schlüsselenzym sitzt im Gewebe von Leber und Darm und hemmt dort den Effekt vieler Medikamente. CYP3A4 initiiert nämlich einen entscheidenden Schritt des Medikamentenabbaus.
Wird dieses Enzym also durch Grapefruitsaft gehemmt, dann erreicht der Wirkstoff höhere Blutkonzentrationen.
Dies kann besonders dann drastische Folgen haben, wenn ein Medikament üblicherweise nur schlecht ins Blut aufgenommen wird. Über diese Eigenschaft gibt die Bioverfügbarkeit eines Arzneimittels Auskunft. Sie zeigt an, wie viel von dem geschluckten Wirkstoff tatsächlich im Blut landet. Hat das Medikament eine hohe Bioverfügbarkeit, dann wird fast die gesamte Dosis in den Blutkreislauf aufgenommen.
Ist die Bioverfügbarkeit jedoch gering, dann kommt auch nur ein geringer Prozentsatz des Medikaments überhaupt im Blut an. Der Rest wird einfach ausgeschieden und hat damit keine Wirkung auf den Körper.

Körper nimmt manche Wirkstoffe nur schwer auf

Ein gutes Beispiel dafür ist das Felodipin, ein Bluthochdruckmedikament. Wer fünf Milligramm von diesem Arzneimittel schluckt, nimmt nur 0,75 Milligramm auf – denn die Bioverfügbarkeit von Felodipin liegt bei gerade einmal 15 Prozent. Kommt allerdings eine ausreichende Menge an Grapefruit mit ins Spiel, dann kann die aufgenommene Wirkstoffmenge auf das Dreifache ansteigen.
Dieser drastische Anstieg kann dem Patienten schnell bitter bewusst werden. Die Überdosierung macht sich nicht selten durch Nebenwirkungen bemerkbar.
Kopfschmerzen, ein schneller Pulsschlag und ein plötzlicher Blutdruckabfall sind klassische Nebenwirkungen bei einer Überdosierung von Bluthochdruckmedikamenten. Noch schlimmer kann es bei der Einnahme anderer Tabletten kommen. So müssen beispielsweise Medikamente gegen Herzrhythmusstörungen, sogenannte Antiarrhythmika, besonders sorgsam dosiert werden.
Steigt ihr Spiegel unerwartet an, dann kann genau das passieren, was durch sie eigentlich verhindert werden sollte. Wird die optimale Wirkungsdosis überschritten, können lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen entstehen.

Auch Cholesterinsenker sind betroffen

Doch Grapefruitsaft kann nicht nur Nebenwirkungen von Kreislaufmedikamenten provozieren. Denn auch bestimmte Cholesterinsenker, sogenannte Statine, verschiedene Krebsmedikamente und Immunsuppressiva werden über das CYP3A4-Enzym abgebaut. Ebenso wie bei Bluthochdruckmitteln und Antiarrhythmika kann die Hemmung dieses Abbauprozesses zu kritischen Medikamentenspiegeln führen.
Je mehr sich von dem Wirkstoff im Kreislauf ansammelt, umso eher treten Nebenwirkungen auf. So kann eine Überdosis Statine klassischerweise zu einem rapiden Verlust an Muskelmasse führen. Ein Zuviel an Krebsmedikamenten und Immunsuppressiva schädigt Niere und Knochenmark.

Im Zweifel den Hausarzt fragen

Muss die Grapefruit also aus dem Speiseplan vieler Patienten vollkommen verbannt werden? Nicht unbedingt, meint Klaus Mörike, stellvertretender Abteilungsleiter des Instituts für Klinische Pharmakologie und Toxikologie am Universitätsklinikum Tübingen.
Er rät zu einer genauen Rücksprache mit dem Hausarzt. "Grapefruitsaft-Getränke können, je nach Zubereitungsart, ganz unterschiedliche Konzentrationen an Wirksubstanzen aufweisen. Nebenwirkungen treten oft erst dann auf, wenn der Saft in großen Mengen getrunken wird", sagt Mörike.

Johanniskraut ist kritisch

Vielfach werden diese Mengen gar nicht erst erreicht. Nebenwirkungen, die auf die Grapefruit allein zurückgeführt werden können, sind im Alltag deshalb eher selten. Viel häufiger sind dagegen Wechselwirkungen einer ganz anderen Substanz, die oft gedankenlos mit anderen Medikamenten zusammen genommen wird. Beim Johanniskraut genügen bereits kleine Mengen, um große Schäden zu verursachen.
Die Heilpflanze gilt als Geheimtipp bei leichten depressiven Verstimmungen, denn sie kann rezeptfrei in der Apotheke gekauft werden.
Mörike warnt jedoch davor, "verschreibungsfrei" mit "vollkommen unbedenklich" gleichzusetzen. "Rezeptfreie Arzneimittel werden oft nicht als Medikamente wahrgenommen. Patienten unterschätzen leider häufig die möglichen Wechselwirkungen mit anderen Wirkstoffen", sagt er. Tatsächlich wirkt Johanniskraut nicht nur auf die Botenstoffe des Nervensystems, sondern eben auch auf das CYP3A4-Enzym – allerdings ganz anders als die Grapefruit. Beide Substanzen haben quasi gegensätzliche Effekte.
Während die Grapefruit das Enzym hemmt, führt der Konsum von Johanniskraut zu einer Induktion von CYP35A. "Eine Induktion bewirkt, dass ein bestimmter Stoffwechselschritt schneller und häufiger abläuft", erklärt Mörike. Dem zugrunde liegt meist eine gesteigerte Enzymproduktion, die durch das Johanniskraut angeheizt wird.

Rezeptfrei heißt nicht nebenwirkungsfrei

Das folgende Problem ist offensichtlich: Je mehr Enzym-Moleküle zur Verfügung stehen, umso schneller wird auch der Wirkstoff abgebaut. In so einem Fall nehmen nicht die unerwünschten Wirkungen zu, sondern die erwünschten Wirkungen nehmen ab. Wenn Johanniskraut beispielsweise mit der Antibabypille kombiniert wird, kann die Frau unerwartet schwanger werden.
Wird die Arzneipflanze zusammen mit Tabletten gegen eine Transplantatabstoßung eingenommen, droht manchmal sogar der Organverlust. Der rezeptfreie Erwerb von Johanniskraut ist daher nur scheinbar eine Erleichterung. Meist ist der Besuch beim Hausarzt unumgänglich, um eventuelle Wechselwirkungen vorab auszuschließen.
Bei dieser Gelegenheit kann der Patient dann auch gleich all die anderen möglichen Wechselwirkungen besprechen, die im Beipackzettel eines jeden Medikaments aufgelistet sind. Oft stehen dort nämlich Warnungen, an die der Behandelte nie gedacht hätte – geschweige denn, dass er sich diese erklären könnte. So findet sich in manch einer Packungsbeilage den Hinweis, die Tabletten nicht zusammen mit Milchprodukten einzunehmen. Grund dafür ist diesmal keine veränderte Aktivität des CYP3A4-Enzyms, sondern vielmehr eine chemische Eigenschaft.
Manche Antibiotika und manche Anti-Osteoporosemittel binden Komplexe mit Kalzium. Diese sind zwar nicht direkt schädlich, aber eben auch nicht nützlich. Die Kalzium-Wirkstoff-Komplexe können nicht in den Blutkreislauf übertreten und werden einfach ausgeschieden. Wer derartige Tabletten mit einem Glas Vollmilch herunter spült, nimmt also nur einen Bruchteil des notwendigen Wirkstoffs in den Körper auf. Ähnliche Effekte wurden sogar für stark kalziumhaltige Mineralwasser beschrieben. Wer wirklich sicher gehen will, nimmt seine Tabletten am besten mit einem Schluck Leitungswasser ein.
Prinzipiell gibt es nur wenige Nahrungs- und Genussmittel, die erwünschte und unerwünschte Wirkungen von Medikamenten beeinflussen. Diese wenigen sollten aber auch bekannt sein. Ansonsten läuft der Patient Gefahr, nie die optimale Dosis an Wirkstoff zu bekommen. Dagegen kann dann auch kein gesundes Frühstück helfen.

Quelle: www.welt.de

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