Für viele gehört die
Grapefruit zu einem gesunden Frühstück einfach mit dazu. Gerade im
Winter, wenn das Angebot an Beeren und Kernobst nachlässt, ist sie eine
willkommene Vitaminbombe. Doch die bittere Zitrusfrucht trägt ein ebenso
bitteres Geheimnis: Sie hemmt eine ganze Reihe von wichtigen
Stoffwechsel- und Verwertungsprozessen.
Bemerkbar
macht sich das vor allem bei der Einnahme bestimmter Medikamente. Wenn
ihr Abbau gehemmt ist, können sie zu schweren Nebenwirkungen führen.
Herzmedikamente im Fokus
Zurzeit
gibt es 43 Wirkstoffe, bei denen der übermäßige Genuss von
Grapefruit-Produkten gefährlich werden kann. Bald könnten es aber noch
deutlich mehr werden, zumindest wenn sich der Trend der letzten Jahre
fortsetzt. Die Einführung neuer Rezepturen und Wirksubstanzen hätte dazu
geführt, dass jedes Jahr sechs neue Medikamente mit einer bekannten
Wechselwirkung zur Grapefruit hinzugekommen seien, schreibt der Kanadier
David Bailey von der University of Western Ontario im Fachmagazin "Canadan Medical Association Journal".
In seiner aktuellen Übersichtsarbeit warnt der Pharmakologe vor dem unachtsamen Genuss der Zitrusfrucht.
Irritierende Testergebnisse
Bailey
weiß, wovon er spricht. Er selbst war es, der den Effekt der Grapefruit
vor über 20 Jahren entdeckt hat. Damals wollte der Pharmakologe
eigentlich eine ganz andere Wechselwirkung testen. Er wollte prüfen, wie
gut sich Alkohol mit einem bestimmten Bluthochdruckmittel verträgt. Um
festzustellen, welche Nebenwirkungen allein auf den Alkoholkonsum
zurückzuführen waren, brauchte Bailey zwei Studiengruppen: Eine, die
tatsächlich Alkohol und Medikamente bekommt und eine andere, die das
Blutdruckmittel ohne Zusätze einnimmt.
Wer
aber zu welcher Gruppe gehört, das durften weder Wissenschaftler noch
Probanden wissen. Sonst hätte das Ergebnis schließlich verfälscht werden
können. Dabei gab es jedoch ein Problem: Alkohol hat einen strengen,
brennenden Geschmack.
Hätte
er den Studienteilnehmern Pille und Schnaps allein gegeben, hätte
sofort jeder gewusst, zu welcher Probandengruppe er gehört.
Bittere Grapefruit gegen bitteren Alkohol
Der
Pharmakologe musste also ein Mischung finden, in der der Geschmack des
Alkohols vollkommen überlagert wird. Nach einigen gescheiterten
Geschmacksproben fand er schließlich ein geeignetes Getränk: zweifach
konzentrierten Grapefruit-Saft. Tatsächlich konnte kein
Studienteilnehmer schmecken, ob dieser nun mit Alkohol gemischt war oder
eben nicht. Die Studie schien zu funktionieren.
Doch
schon früh stellte Bailey etwas völlig Unerwartetes fest: Die
Blutkonzentration des Medikaments war bei den Teilnehmern auf das
Dreifache erhöht, und zwar sowohl in der Test- als auch in der
Kontrollgruppe. Schnell wurde klar, dass nur der Grapefruitsaft daran
schuld sein konnte.
Enzyme machen Pharmakologen das Leben schwer
Mittlerweile
weiß man, wieso die Zitrusfrucht den Medikamentenspiegel so massiv
beeinflussen kann. Die Inhaltsstoffe der Grapefruit hemmen das
sogenannte Cytochrom-3A4-Enzym, kurz CYP3A4 genannt. Das Schlüsselenzym
sitzt im Gewebe von Leber und Darm und hemmt dort den Effekt vieler
Medikamente. CYP3A4 initiiert nämlich einen entscheidenden Schritt des
Medikamentenabbaus.
Wird dieses Enzym also durch Grapefruitsaft gehemmt, dann erreicht der Wirkstoff höhere Blutkonzentrationen.
Dies
kann besonders dann drastische Folgen haben, wenn ein Medikament
üblicherweise nur schlecht ins Blut aufgenommen wird. Über diese
Eigenschaft gibt die Bioverfügbarkeit eines Arzneimittels Auskunft. Sie
zeigt an, wie viel von dem geschluckten Wirkstoff tatsächlich im Blut
landet. Hat das Medikament eine hohe Bioverfügbarkeit, dann wird fast
die gesamte Dosis in den Blutkreislauf aufgenommen.
Ist
die Bioverfügbarkeit jedoch gering, dann kommt auch nur ein geringer
Prozentsatz des Medikaments überhaupt im Blut an. Der Rest wird einfach
ausgeschieden und hat damit keine Wirkung auf den Körper.
Körper nimmt manche Wirkstoffe nur schwer auf
Ein
gutes Beispiel dafür ist das Felodipin, ein Bluthochdruckmedikament.
Wer fünf Milligramm von diesem Arzneimittel schluckt, nimmt nur 0,75
Milligramm auf – denn die Bioverfügbarkeit von Felodipin liegt bei
gerade einmal 15 Prozent. Kommt allerdings eine ausreichende Menge an
Grapefruit mit ins Spiel, dann kann die aufgenommene Wirkstoffmenge auf
das Dreifache ansteigen.
Dieser
drastische Anstieg kann dem Patienten schnell bitter bewusst werden.
Die Überdosierung macht sich nicht selten durch Nebenwirkungen
bemerkbar.
Kopfschmerzen,
ein schneller Pulsschlag und ein plötzlicher Blutdruckabfall sind
klassische Nebenwirkungen bei einer Überdosierung von
Bluthochdruckmedikamenten. Noch schlimmer kann es bei der Einnahme
anderer Tabletten kommen. So müssen beispielsweise Medikamente gegen
Herzrhythmusstörungen, sogenannte Antiarrhythmika, besonders sorgsam
dosiert werden.
Steigt
ihr Spiegel unerwartet an, dann kann genau das passieren, was durch sie
eigentlich verhindert werden sollte. Wird die optimale Wirkungsdosis
überschritten, können lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen entstehen.
Auch Cholesterinsenker sind betroffen
Doch
Grapefruitsaft kann nicht nur Nebenwirkungen von Kreislaufmedikamenten
provozieren. Denn auch bestimmte Cholesterinsenker, sogenannte Statine,
verschiedene Krebsmedikamente und Immunsuppressiva werden über das
CYP3A4-Enzym abgebaut. Ebenso wie bei Bluthochdruckmitteln und
Antiarrhythmika kann die Hemmung dieses Abbauprozesses zu kritischen
Medikamentenspiegeln führen.
Je
mehr sich von dem Wirkstoff im Kreislauf ansammelt, umso eher treten
Nebenwirkungen auf. So kann eine Überdosis Statine klassischerweise zu
einem rapiden Verlust an Muskelmasse führen. Ein Zuviel an
Krebsmedikamenten und Immunsuppressiva schädigt Niere und Knochenmark.
Im Zweifel den Hausarzt fragen
Muss
die Grapefruit also aus dem Speiseplan vieler Patienten vollkommen
verbannt werden? Nicht unbedingt, meint Klaus Mörike, stellvertretender
Abteilungsleiter des Instituts für Klinische Pharmakologie und
Toxikologie am Universitätsklinikum Tübingen.
Er
rät zu einer genauen Rücksprache mit dem Hausarzt.
"Grapefruitsaft-Getränke können, je nach Zubereitungsart, ganz
unterschiedliche Konzentrationen an Wirksubstanzen aufweisen.
Nebenwirkungen treten oft erst dann auf, wenn der Saft in großen Mengen
getrunken wird", sagt Mörike.
Johanniskraut ist kritisch
Vielfach
werden diese Mengen gar nicht erst erreicht. Nebenwirkungen, die auf
die Grapefruit allein zurückgeführt werden können, sind im Alltag
deshalb eher selten. Viel häufiger sind dagegen Wechselwirkungen einer
ganz anderen Substanz, die oft gedankenlos mit anderen Medikamenten
zusammen genommen wird. Beim Johanniskraut genügen bereits kleine
Mengen, um große Schäden zu verursachen.
Die
Heilpflanze gilt als Geheimtipp bei leichten depressiven Verstimmungen,
denn sie kann rezeptfrei in der Apotheke gekauft werden.
Mörike
warnt jedoch davor, "verschreibungsfrei" mit "vollkommen unbedenklich"
gleichzusetzen. "Rezeptfreie Arzneimittel werden oft nicht als
Medikamente wahrgenommen. Patienten unterschätzen leider häufig die
möglichen Wechselwirkungen mit anderen Wirkstoffen", sagt er.
Tatsächlich wirkt Johanniskraut nicht nur auf die Botenstoffe des
Nervensystems, sondern eben auch auf das CYP3A4-Enzym – allerdings ganz
anders als die Grapefruit. Beide Substanzen haben quasi gegensätzliche
Effekte.
Während die
Grapefruit das Enzym hemmt, führt der Konsum von Johanniskraut zu einer
Induktion von CYP35A. "Eine Induktion bewirkt, dass ein bestimmter
Stoffwechselschritt schneller und häufiger abläuft", erklärt Mörike. Dem
zugrunde liegt meist eine gesteigerte Enzymproduktion, die durch das
Johanniskraut angeheizt wird.
Rezeptfrei heißt nicht nebenwirkungsfrei
Das
folgende Problem ist offensichtlich: Je mehr Enzym-Moleküle zur
Verfügung stehen, umso schneller wird auch der Wirkstoff abgebaut. In so
einem Fall nehmen nicht die unerwünschten Wirkungen zu, sondern die
erwünschten Wirkungen nehmen ab. Wenn Johanniskraut beispielsweise mit
der Antibabypille kombiniert wird, kann die Frau unerwartet schwanger
werden.
Wird die
Arzneipflanze zusammen mit Tabletten gegen eine Transplantatabstoßung
eingenommen, droht manchmal sogar der Organverlust. Der rezeptfreie
Erwerb von Johanniskraut ist daher nur scheinbar eine Erleichterung.
Meist ist der Besuch beim Hausarzt unumgänglich, um eventuelle
Wechselwirkungen vorab auszuschließen.
Bei
dieser Gelegenheit kann der Patient dann auch gleich all die anderen
möglichen Wechselwirkungen besprechen, die im Beipackzettel eines jeden
Medikaments aufgelistet sind. Oft stehen dort nämlich Warnungen, an die
der Behandelte nie gedacht hätte – geschweige denn, dass er sich diese
erklären könnte. So findet sich in manch einer Packungsbeilage den
Hinweis, die Tabletten nicht zusammen mit Milchprodukten einzunehmen.
Grund dafür ist diesmal keine veränderte Aktivität des CYP3A4-Enzyms,
sondern vielmehr eine chemische Eigenschaft.
Manche
Antibiotika und manche Anti-Osteoporosemittel binden Komplexe mit
Kalzium. Diese sind zwar nicht direkt schädlich, aber eben auch nicht
nützlich. Die Kalzium-Wirkstoff-Komplexe können nicht in den
Blutkreislauf übertreten und werden einfach ausgeschieden. Wer derartige
Tabletten mit einem Glas Vollmilch herunter spült, nimmt also nur einen
Bruchteil des notwendigen Wirkstoffs in den Körper auf. Ähnliche
Effekte wurden sogar für stark kalziumhaltige Mineralwasser beschrieben.
Wer wirklich sicher gehen will, nimmt seine Tabletten am besten mit
einem Schluck Leitungswasser ein.
Prinzipiell
gibt es nur wenige Nahrungs- und Genussmittel, die erwünschte und
unerwünschte Wirkungen von Medikamenten beeinflussen. Diese wenigen
sollten aber auch bekannt sein. Ansonsten läuft der Patient Gefahr, nie
die optimale Dosis an Wirkstoff zu bekommen. Dagegen kann dann auch kein
gesundes Frühstück helfen.
Quelle: www.welt.de
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